Jeder, der das erste Mal ein Hörgerät trägt kennt das ungewohnte Gefühl nur zu gut. Und das ist vollkommen normal und nicht weiter beunruhigend. Schließlich haben Sie die längste Zeit Ihres Lebens vermutlich ohne kleinen Helfer im Ohr gemeistert. Aber auch hier gilt die altbekannte Weisheit: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
So wie sich unsere Augen auf neue Kontaktlinsen oder eine Brille einstellen müssen, müssen wir auch unser Ohr behutsam an das Hörgerät heranführen und ihm Zeit geben, es in seine Routinen einzubeziehen. Wer also glaubt, dass man sich ein Hörgerät beschafft, es einsetzt und alles hört sich einwandfrei an, der täuscht sich.
Die Ohren haben verlernt
Je länger man den Besuch beim HNO-Arzt aufgeschoben hat und den Einsatz eines Hörgerätes herausgezögert hat, umso schwieriger fällt einem die Umstellung des Hörens mit einem Hörgerät. Wie ein Muskel, den man nicht trainiert, reduziert sich auch unser Hörvermögen, wenn die Gehirnareale keine oder nur wenige Reize erfahren. Demnach bekommt unser Gehirn beim erstmaligen Einsetzen eines Hörgeräts auch wieder eine fast verlernte Aufgabe und muss diese Stück für Stück wiedererlernen.
Das kann mitunter manchmal auch anstrengend sein. Wir bekommen zwar keinen Muskelkater, aber eventuell stellt man fest, dass die Konzentration schon nachlässt und man sich am Ende des Tages etwas erschöpfter fühlt als sonst. Diese Begleiterscheinung soll jedoch nicht von Dauer sein und auch daran gewöhnt man sich. Genauso wie nicht jeder Profiathlet täglich mit einem Muskelkater aufwachen muss, weil sein Körper die Belastung ja nun gut kennt.
Üben Sie, aber kein falscher Ehrgeiz
Was Sie nicht tun sollten, ist das Gerät in die Schublade legen, weil es als störend empfunden wird und wenig hilfreich. Das ist anfangs ganz typisch. Versuchen Sie zu Beginn in Ihrem gewohnten Umfeld das Hören zu trainieren und das in möglichst ruhiger Atmosphäre. Vergewissern Sie sich, dass das Hörgerät angenehm und sicher im Ohr sitzt. Schalten Sie ruhig das Radio und den Fernseher aus und geben sich und Ihrem neuen Helfer anfangs wenige ruhige Eindrücke. Es ist auch nicht ratsam direkt von morgens 7 bis 22 Uhr zu üben. Damit werden Ihre Sinne überstrapaziert. Sobald Sie die Geräusche als unangenehm wahrnehmen, machen Sie eine Pause und üben später weiter. Es ist auch kein Nachteil in den ersten Tagen nur wenige Stunden mit dem Gerät im Ohr zu verbringen und die Dauer dann täglich zu steigern. Es wird von Tag zu Tag immer leichter Dinge gut zu verstehen und das Verstandene wird immer deutlicher.
Setzen Sie die Erwartungen nicht zu hoch
Besonders Situationen, in denen mehrere Menschen gleichzeitig sprechen, stellen eine große Herausforderung dar. Gehen Sie daher vorsichtig an solche Situationen heran. Erwarten Sie nicht, dass Sie plötzlich alle Personen im Wirtshaus gestochen scharf verstehen werden und konzentrieren sich gern auf einzelne Gesprächspartner, anstatt gleich eine komplette Gesprächsrunde verstehen zu wollen. Das Selektieren der wichtigen Informationen aus einem Gemurmel von vielen Menschen fällt schließlich auch Normalhörenden nicht leicht. Erwarten Sie also keine übermenschlichen Leistungen von sich. Mit der Zeit wird diese Übung aber auch für Sie machbar. Starten Sie daher eher in kleineren Gesprächsrunden mit wenigen Hintergrundgeräuschen, um sich dann zu steigern.
Training mit Sprechprofis – vor dem Fernseher
Fernsehen und Telefonieren gehört zu unserem ganz normalen Alltag. Trotzdem muss man es neu üben. Eine hitzige Diskussion bei Markus Lanz oder ein Fußballspiel mit Kommentar eignen sich jedoch wenig, um sein Gehör für Geräusche aus dem Lautsprecher zu sensibilisieren. Trainieren Sie mit den Persönlichkeiten, die im artikulierten Sprechen Profis sind: Tagesschausprecher. Nachrichten weisen wenige Störgeräusche auf und die Sprecher drücken sich sehr verständlich aus, sodass Sie hier gerade am Anfang die größten Chancen haben, möglichst viel zu verstehen.
Auch beim Telefonieren kann man sich probater Lösungen bedienen. Die Stimmen im Telefonhörer erklingen ohnehin leicht verzerrt, mit Hörgerät wird das Verstehen also vermutlich etwas schwieriger. Bevor Sie sich in unangenehme Situationen mit Fremden begeben, testen Sie zwischendurch Ihr Hörverstehen mit der Zeitansage. Rufen Sie mehrmals täglich die 040-428990 an und überprüfen, ob Sie die Zeitansage besser verstehen können. Bitten Sie auch enge Freunde und Verwandte mit Ihnen zu telefonieren und darauf zu achten deutlich zu sprechen.
Unterm Strich gilt: Übung macht den Meister. Anfangs ist auch jeder von uns vom Fahrrad gefallen, aber deshalb wurde es nicht gleich in den Keller gestellt, sondern immer und immer wieder trainiert. Trainieren Sie mit Ihrem Hörgerät genauso. Steigern Sie die Intensität und übertreiben es nicht zu Beginn. Das Training darf Sie ruhig etwas anstrengen. Auf keinen Fall jedoch sollte das Tragen oder Hören unangenehm sein oder gar Schmerzen verursachen. Sobald Sie wiederholt Schmerzen empfinden, wenden Sie sich bitte umgehend an Ihren Hörakustiker oder HNO-Arzt.
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